Wer etwas Kluges über KI lesen will, hat es bei der aktuellen Flut der Bestseller-Titel zu dem Thema schwer. Nicht zu knapp gibt es da engagierte Gesellschaftsdiagnosen, wahlweise dystopisch oder hoffnungsvoll. Argumentativ sind sie aber meist recht dünn und oft eine Aneinanderreihung von Fakten, die durch argumentative Allgemeinplätze zusammengehalten werden. Da bräuchte es eigentlich ein Buch mit philosophisch-akademischem Know-how, das aber nicht zu dröge ist und alle aktuellen Diskurse unaufgeregt, aber klar auf den Punkt bringt. Genau so ein Buch gibt es schon und geschrieben hat es Sebastian Rosengrün, der als Philosoph und Programmierer alles kann, was man in diesem Feld heute braucht – Code schreiben, absurde Argumente zerlegen und in wenigen Zeilen anschaulich erklären, wie beispielsweise ein neuronales Netz funktioniert.
Ein philosophischer Blick auf künstliche Intelligenz
Dieses Buch hat kein buntes marketingtechnisch ausgefeiltes Cover, sondern ist mit dem typisch schlicht weißen Titel Teil der Junius Reihe aus Hamburg, deren Bände mir in meinen ersten Semestern oft die letzten Anhaltspunkte im poststrukturalistischen Theoriedickicht waren. Rosengrün erklärt im Vorwort, dass sein Buch eigentlich gar keine Einführung in Künstliche Intelligenz ist, „sondern in das Nachdenken über Künstliche Intelligenz“. Auf nur 206 Seiten bekommt man einen historischen Abriss der Entwicklungsgeschichte von KI, dann werden ihre wichtigsten Begriffe und Anwendungskontexte und zuletzt gibt es sogar klare Worte zu Datenschutz, Diskriminierung und Big-Tech.
Denk-Werkzeuge für den KI-Hype
Mit der allgegenwärtigen Rede von „Künstlicher Intelligenz“ steht nicht nur aus philosophischer Sicht auch zur Debatte, was überhaupt unter „Intelligenz“ und anderen vielleicht nur vermeintlich genuin menschlichen Fähigkeiten wie Bewusstsein, Emotionalität oder Sprachfähigkeit zu verstehen ist. Beim Lesen des zweiten Kapitels „Können Maschinen denken“ wird klar, wo die große Stärke der Philosophie liegt, nämlich darin Begriffe zu klären, die eben die Werkzeuge unseres Denkens sind. Weil Sebastian Rosengrün aus der analytischen Philosophie kommt, ist die kritische Re-/und Dekonstruktion von Argumenten quasi sein Kerngeschäft. Das mag nicht besonders aufregend klingen, ist es aber. Hier kann jemand die banalen bis teilweise abstrusen Argumente aus der wildwuchernden KI-Bestseller-Debatte sachlich und schnörkellos zerlegen – und das stellenweise auch sehr unterhaltsam.
Technische Kompetenz statt digitaler Ethik
Gerade von Büchern zu einem so drängenden Thema wie KI will man berechtigterweise wissen, was zu tun ist und auch da hat dieses kleine, unscheinbare Buch überraschende Thesen parat. Zum Beispiel hält Sebastian Rosengrün wenig bis nichts von Dingen wie „digitaler Ethik“. Aus seiner Sicht muss man damit keinen neuen gesellschaftspolitisch relevanten Sonderforschungsbereich ausrufen, der sich nun endlich mit den neuesten Technologien beschäftigt. Nein, es geht viel schlichter: „Es bedarf nämlich keiner Ethik für das Zeitalter der KI, sondern es bedarf weiterhin einer Ethik für den Menschen.“
Das ist nicht als rührseliger technikskeptischer Humanismus zu verstehen, sondern als eine nüchterne Kampfansage an die Silicon-Valley-Ideologie und ihre Hypes. Denen begegnet man am besten nicht mit der „Ausrufung eines neuen Zeitalters“, sondern mit „philosophischer Sachlichkeit“. Menschen sollen mündig werden, indem sie neugierig bleiben, Dinge ausprobieren und dabei wissen, was sie tun.
Dass Rosengrün anstatt digitaler Ethik für eine technische Alphabetisierung (technoliteracy) plädiert, wird auch vielen KI-Enthusiasten an diesem Buch gefallen. Anstatt Klassenzimmer flächendeckend mit Tablets und ChatGPT auszustatten, braucht es aus seiner Sicht so einfache Dinge wie Grundlagenwissen und technische Kompetenz.
Alles in allem ist dieses Buch klein, klug und sehr klar. Ach, und übrigens – es ist schon fünf Jahre alt.
Zum Weiterlesen:
Sebastian Rosengrün, Künstliche Intelligenz zur Einführung. 2020, Junius Verlag, Hamburg, 206 Seiten.
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