S Ist die Demokratie gut gerüstet für den Klimawandel? Diese Frage beschäftigt mich oft. Studien zeigen zwar ein wachsendes Bewusstsein für die Klimakrise, doch von der politischen Agenda scheint sie aktuell fast verschwunden. Das Buch „Demokratie und Revolution. Wege aus der selbstverschuldeten ökologischen Unmündigkeit“ von Bernd Ulrich und Hedwig Richter analysiert präzise, warum das so ist.
Demokratie als Konsumversprechen
Demokratie und Revolution – mit diesen zwei gewichtigen Substantiven ließe sich mühelos ein philosophisches Hauptwerk betiteln. Doch die Autor:innen verzichten auf große Worte und revolutionäre Umwälzungen. Sie entlarven Revolutionspathos als überzogene Männerphantasie und zeigen, dass es vielmehr die beharrlichen, kleinteiligen Reformen sind, die die Menschheit vorangebracht haben.
Einen solchen, beharrlichen und wirkungsvollen Reformismus kann gerade die Demokratie leisten – wäre sie nicht, wie Ulrich und Richter es rekonstruieren, stets als Konsumversprechen von stetig wachsendem Wohlstand, Komfort und Luxus verkauft worden. Die Überlegenheit der Demokratie als politisches System mit Konsum- und Wohlstandsgewinnen zu legitimieren, habe die Bürger:innen in Teilen zu „verwöhnten Bürgerkunden“ gemacht, die passiv darauf warten, dass die Politik ihnen wie ein „politischer Pizzadienst“ möglichst zumutungslose Lösungen für die Klimakrise serviert.
Demokratie braucht stattdessen engagierte, mündige Bürger:innen. Für Ulrich und Richter sind es die keineswegs revolutionären bürgerlichen Tugenden wie Disziplin und Maßhalten, mit der wir der Klimakatastrophe politisch wirksam begegnen könnten.
Es geht um „Wege aus der selbstverschuldeten ökologischen Unmündigkeit“, wie es im Untertitel heißt, der auf Kants Text „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ (1784) anspielt. Kants zentrale These – auf die sich dieses Buch noch deutlicher beziehen könnte – besagt, dass Unterdrückung und Unmündigkeit nicht nur von der Obrigkeit ausgehen, sondern auch mit der „Faulheit und Feigheit“ jedes Einzelne zusammenhängen. Ulrich und Richter sehen diese Trägheit bei beiden: bei Bürger:innen, denen ihr Konsum und Komfort wichtiger erscheinen als unser gemeinsames Überleben, und bei einer Politik, die diesem kindischen Konsumismus nachgibt – getrieben von der Angst, klimapolitische Vorstöße könnten Wähler in die Arme rechter Parteien treiben.
Verantwortung und Selbstbeschränkung
Konkrete politische Maßnahmen oder Vorschläge zur besseren Bürgerbeteiligung liefert das Buch nicht. Hier geht es erstmal um die Analyse unseres gesellschaftlichen Bewusstseins und die Mechanismen der Verdrängung. Das klingt hoch gegriffen, ist aber so pointiert und scharfsinnig formuliert, dass man sich an vielen Stellen des Buches unangenehm wiedererkennt.
Es geht um Haltungen wie man sie in Alltagsgesprächen so oft hört, zum Beispiel die, dass man erst bereit sei weniger Auto zu fahren, wenn der Staat das Bahnnetz komplett saniert hat, oder erst dann ein E-Auto kauft, wenn die Subventionen dafür hoch genug und das Ladenetz dafür perfekt ausgebaut ist. Im Grunde sind solche Argumente verständlich, aber sie sind auch verwöhnt und verantwortungslos und warten auf das Handeln „der Politik“, die gerade in einer Demokratie letztlich wir selbst sind.
Wie waren Kennedys berühmte Worte seiner Antrittsrede 1961: „Ask not what your country can do for you. Ask what you can do for your country.“ Dahin müssen wir kommen. Es klingt aufklärerisch, kantianisch und durchaus akademisch, aber: Wir müssen unsere Privilegien reflektieren und – wie Kant – einfacher und bescheidener leben. Das ist der Vorschlag dieses Buchs, ein mündige und befreiende Entscheidung für weniger.
Die Untermoralisierung des Ökologischen
Im politischen Diskurs erntet moralisches Argumentieren oft angestrengt verzogene Gesichter. Die Autor:innen wundern sich aber über die „Untermoralisierung des Ökologischen“ – warum diskutieren wir andere gesellschaftliche Themen hochmoralisch, während maßloses Fleischessen, Fliegen und Skifahren kaum hinterfragt werden?
Eine große Stärke des Buches ist, dass die Autor:innen dies selbstkritisch in den Blick nehmen und auf die enge Verbindung von sozialen und ökologischen Gerechtigkeitsfragen hinweisen. Gerade die besserverdienende akademisch-gebildete Klasse brüstet sich oft mit klimabewusstem Verhalten, obwohl mit dem Einkommen auch der Konsum und damit der ökologische Fußabdruck steigt. Es ist ja kein Geheimnis, aber doch immer wieder wichtig darauf hinzuweisen, dass gerade Menschen mit niedrigen Einkommen am meisten unter den Folgen des Klimawandels zu leiden haben.
Das Buch liefert auch eine kompakte und pointierte Analyse europäischer und insbesondere deutscher Klima- und Umweltpolitik von Fridays for Future bis zum Heizungsgesetz. Neben aller scharfen Kritik bleibt die zentrale These des Buchs aber auch positiv und hoffnungsvoll: Wir haben alles, um der Klimakrise zu begegnen – genug Wissenschaft, Technologie und stellenweise auch politischen Willen. Das „drängendste Problem der westlichen Gesellschaften“, so schreiben Ulrich und Richter, sind nicht Klimakrise, Artensterben und Wirtschaftskrisen, sondern „Resignation“ und „der schwindende Glaube an die Zukunft“.
Hedwig Richter und Bernd Ulrich, Demokratie und Revolution. Wegen aus der selbstverschuldeten ökologischen Unmündigkeit. 2024, Kiepenheuer & Wietsch, 368 Seiten.
Zum Weiterlesen
Die Autor:innen im taz Talk
Rezensionsnotizen zum Buch bei perlentaucher